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Einführung Audiotour Wolf Vostell
„Ich erkläre den Frieden zum größten Kunstwerk” steht auf der Tafel am Haus Giesebrechtstrasse Nr. 12 in Charlottenburg. Der Satz stammt von Wolf Vostell, einem der letzten Universalkünstler und gleichzeitig ein Kunst-Pionier, der vor allem durch seine Happenings, Fluxuswerke und Großskulpturen im öffentlichen Raum bekannt wurde. Vostell – Wahlberliner seit 1970 – hat in der Stadt vielfältige Spuren und Kunstwerke hinterlassen. Unsere Audio-Tour zeigt einen Weg, diesen Spuren zu folgen.
Wolf Vostell (1932-1998) wurde von seiner Kindheit unter dem Hakenkreuz geprägt, die seinen Widerstand gegen Ideologien, Repressalien, Bevormundung und Krieg formte. Die Auseinandersetzung mit dem Holocaust wurde eines seiner zentralen Themen. Bewusst inszenierte er sich als lebendes Manifest gegen die Nazi-Ideologie; trug Schläfenlocken, Pelzhut und Kaftan wie ein alttestamentarischer Jude, um die Gesellschaft mit ihren Vorurteilen zu konfrontieren.
Und seine Werke haben immer provoziert: Angefangen mit dem ersten Happening in Europa, 1958 in Paris und 11 Jahre später mit seiner ersten Auto-Beton-Skulptur „Situation Ruhender Verkehr“ 1969 in Köln, nicht im Museum oder in einer Kunstgalerie ausgestellt, sondern einfach auf der Straße geparkt – für viele Passanten eine Zumutung.
Beton, als ein zentrales Element, wurde zum Markenzeichen Vostell‘scher Kunst. Dem entsprach ebenso 1987 der Skandal um „Zwei Beton-Cadillacs in Form der nackten Maja“ (schon der Titel der Skulptur – irgendwie „seltsam“), aufgestellt mitten auf dem Berliner Rathenauplatz.
Vostells Kunstwerke haben Konfliktpotenzial. Vielleicht auch deshalb, weil sich der „Avantgarde-Künstler“ als politischer Mensch sah und immer wieder unbequeme Themen aufgriff und sich engagierte: gegen das Vergessen brutaler Kriege, gegen die Auswüchse des modernen Massenkonsums und der Massenmedien.
Die Audio-Tour erzählt von Wolf Vostells Leben und von einigen seiner Werke in Berlin. Und sie erinnert – eine Art Zeitreise – an überwundene Kulturkämpfe und heute verschwundene Kunst-Objekte.
Sein Atelier – im Westflügel des heutigen „Kunsthaus Dahlem“
Man kann es Ironie der Geschichte nennen: Am Käuzchensteig wurde eigens für Hitlers Lieblingsbildhauer Arno Breker ein „Staatsatelier“ gebaut und 42 Jahre später zog hier Wolf Vostell ein, der sich zeitlebens gegen die unmenschliche Ideologie der Nazis gestellt hatte.
Sein Atelier als Refugium eines einsamen Künstler-Genies? Eher nicht: Fast immer waren Künstler:innen und Gäste mit ihm im Atelier. Von einer gemütlichen Atmosphäre und toller Musik wird berichtet. Die Arbeitsräume von Vostell seien „die reinste Wundertüte“ gewesen, erinnert sich der Sammler Heinrich Liman.
Das Experimentieren mit verschiedensten Materialien war schließlich Grundlage für die meisten Arbeiten von Vostell.
Vostells Atelier im Westflügel (Bild rechts), Gesamtansicht des ehemaligen „Staatsateliers“ von Arno Breker, heute das Kunsthaus Dahlem (Bild links), Fotos: © Peter Schnappauf
Wolf Vostell in seinem Atelier, 1980 (Bild links) und 1981 (Bild rechts), Fotos: © THE WOLF VOSTELL ESTATE
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Rathenauplatz „Zwei Beton-Cadillacs in Form der nackten Maja“
1987 – Zur 750-Jahrfeier West-Berlins hatte sich die Stadt etwas Besonderes ausgedacht: zwischen Rathenau- und Wittenbergplatz sollte ein „Skulpturen-Boulevard“ präsentiert werden. Der damalige Senator für kulturelle Angelegenheiten, Volker Hassemer, sprach von einem „Geburtstags-Geschenk für Berlin“; die Modernität der Stadt und ihre Rolle als Kulturmetropole sollten herausgestellt werden.
Mit dabei: Wolf Vostell. Was allerdings folgte, war laut Bazon Brock: „Die vielleicht größte öffentliche Diskussion um die Kunst der Moderne nach 1945“.
Und ein kleines Kuriosum, nämlich – das erste „Gegendenkmal“ der deutschen Kunstgeschichte, mit einem einbetonierten Trabant, der eines Abends im Juli 1987 plötzlich auf dem Rathenauplatz stand.
Wolf Vostells Skulptur „Zwei Beton-Cadillacs in Form der nackten Maja“ am Rathenauplatz und das „Gegendenkmal“, „Der Trabbi“, © Stiftung Stadtmuseum Berlin | Fotos: Archiv Rolf Goetze, 1987
Foto: © IMAGO / Joko, 2020 (Bild links), Foto: © Andreas Praefcke, 2009, CC BY 3.0 (Bild rechts)
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Giesebrechtstrasse 12 – Seine Wohnung
Wolf Vostell war ein unruhiger, rastloser Geist. Bevor er 1970 in das geteilte Berlin zog, hatte er schon etliche Ortswechsel hinter sich.
In der damaligen Frontstadt zwischen Ost und West fand er seine neue Heimat. Ein inspirierendes, aber auch anstrengendes Arbeitsumfeld.
Vostell war sich immer bewusst, dass hier Besonderes geschieht: „Berlin ist keine Stadt – Berlin ist ein Phänomen!“.
Berlin Charlottenburg, Giesebrechtstr. 12 und Gedenktafel, Fotos: © Peter Schnappauf
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„Park Plaza Berlin Kudamm“ – ehemals das „Art´otel – Wolf Vostell“
1989. Das Familienunternehmen Gädeke & Sons erdachte und verwirklichte ein spezielles Konzept und eröffnete eines der ersten Design-Hotels weltweit in der Joachimstalerstrasse.
Die Idee dahinter: das gesamte Haus, Foyer, Treppenhaus und Hotelzimmer wurden mit Werken von Wolf Vostell ausgestattet, die auch heute noch besichtigt werden können. Das „Park Plaza Berlin Kudamm“ lässt Besucher stets in die Lobby und nach 12 Uhr auch in den Frühstücksraum.
„Park Plaza Berlin Kudamm“ in der Joachimstalerstr. 28-29 und Vostells „Diskobol von Myron“ auf dem Giebel.
Fotos: © Peter Schnappauf
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Neue Nationalgalerie – Vostell Retrospektive 1958-1974
Das Musée d’Art Moderne de la Ville de Paris widmete Wolf Vostell 1974 eine erste umfassende Retrospektive.
Ein Jahr später wurde der inzwischen weltweit bekannte Künstler auch in seiner Wahlheimat Berlin gewürdigt. Die Neue Nationalgalerie präsentierte eine erweiterte Fassung der Pariser Ausstellung.
Seine Idee der „Dé-Coll/age“ als künstlerisches Prinzip wurde hier einem breitem Publikum vorgestellt.
Und mit dabei: „Situation Ruhender Verkehr“, die erste Auto-Beton-Skulptur der Welt von 1969, über 15 Tonnen schwer. Bei Ankunft in Berlin hatte das Werk schon einige Kilometer hinter und noch vor sich: Köln, Paris, Berlin und wieder zurück nach Köln.
Katalog der Retrospektive, Foto: © Peter Schnappauf (Bild links), Wolf Vostell vor der Nationalgalerie, © Stadtmuseum Berlin | Foto: Ludwig Binder, 1975, (fotografischer Rest-Nachlass), Reproduktion: Matthias Viertel, (Bild rechts)
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Anhalter Bahnhof „La Tortuga“ (Die Schildkröte)
„Mythos Berlin“ war der klangvolle Titel für ein Projekt, das ebenfalls im Rahmen der 750-Jahrfeier West-Berlins auf dem brachliegenden Gelände des Anhalter Bahnhofs realisiert wurde.
Wolf Vostell entwickelte hierfür sein Projekt „La Tortuga“ (die Schildkröte). Es gehört sicherlich zu den spektakulärsten Aktion von „Mythos Berlin“ und war zugleich die größte Skulptur von Vostell: eine etwa 100 Tonnen schwere Güterzuglokomotive, Baujahr 1944, wurde umgedreht und auf den Kopf gestellt.
Die Deutungen sind vielfältig, sie umfassen aber einen Großteil seiner künstlerischen Themen: wie Industrie und Technik missbraucht wurden für den nationalsozialistischen Völkermord und für die buchstäblich auf dem Rücken liegende Gesellschaft am Ende des 20.Jahrhunderts.
Und sein „Mahnmal“ hat Bestand, wenn auch nicht in Berlin. Seit 1993 Ist „La Tortuga“ in der nordrhein-westfälischen Stadt Marl fest installiert.
„Mythos Berlin“, Ausstellung am Anhalter Bahnhof, © Stiftung Stadtmuseum Berlin | Fotos: Manfred Hamm 1987
„Drei Kräne und eine Dampflokomotive“, Aktion „La Tortuga“ von Wolf Vostell, Fotos: © Friedhelm Denkeler 1987
„La Tortuga“ seit 1993 auf dem Theatervorplatz in Marl, Foto: © IMAGO / Zoonar
AUDIOTOUR WOLF VOSTELL
Multimediakonzeption und Produktion:
Peter Schnappauf
Texte:
Peter Schnappauf und Dr. Martina Weinland
Sprecherin: Dr. Martina Weinland
Erstellt im Auftrag von:
Kunsthaus Dahlem, Dr. Dorothea Schöne
Ein Zusatzangebot im Rahmen der Ausstellung
»Kunst nach der Shoah. Wolf Vostell im Dialog mit Boris Lurie« im Kunsthaus Dahlem.
Laufzeit: 8.Juli – 30.Oktober 2022
Link: Kunsthaus Dahlem, Ausstellung, »Kunst nach der Shoah. Wolf Vostell im Dialog mit Boris Lurie«
Wir danken der Stiftung Stadtmuseum Berlin, Raphael Vostell, Friedhelm Denkeler und dem „Park Plaza Berlin Kudamm“ für die freundliche Unterstützung.